Office for Living Architecture

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Lebensader Düsseldorf - Die Wand als Möglichkeit

Lebendig, verbindend, aktivierend - so wirkt die RRX Lärmschutzwand als neue Lebensader Düsseldorfs. Ermöglicht wird dies, indem die zwei Seiten der Wand komplementär betrachtet werden. Die den Zügen zugewandte Seite ist durch ein durchgängiges Gestaltungsprinzip geprägt, das auf subtile Art und Weise die Struktur und Materialität der Stadtlandschaft dahinter widerspiegelt, sowie unterschiedliche Durchblicke ermöglicht. Die Identität Düsseldorfs wird für die Zugfahrenden intuitiv erfassbar. Zur Stadt hin ist die Wand genauso vielfältig wie die sozialen und ökologischen Systeme, in die sie eingebettet ist. Die Baumaßnahme wird als eine Intervention verstanden, die ortsspezifisch städtebauliche und landschaftsökologische Entwicklungspotentiale erschließt und die Aneignung der angrenzenden Räume durch menschliche und nicht-menschliche Bewohner_innen fördert. Dabei werden die Ansätze und Ziele des Grünordnungsplans 2025 und des Raumwerks D aufgegriffen, um ausgehend von vorhandenen und geplanten Grün- und Freiflächen neue Korridore für die Vernetzung von Mensch und Natur zu schaffen.
Aufgrund dieser unterschiedlichen Aktivierung der beiden Wandseiten kann den teilweise gegensätzlichen Erwartungen und Anforderungen entsprochen werden: Durch die einheitliche und reduzierte Gestaltung der Bahnseite können sämtliche Sicherheitsanforderungen und Vorgaben der Bahn erfüllt werden. Stadtseitig werden durch eine programmatische Aktivierung unter Einbeziehung der lokalen Stakeholder ortsspezifische Lösungen entwickelt.


Typologie

Um den unterschiedlichen topographischen Bedingungen, stadträumlichen, ökologischen und funktionalen Anforderungen gerecht zu werden, die die verschiedenen Orte entlang der Strecke aufwerfen, bedarf es eines systematischen Ansatzes. Die Lebensader Düsseldorf basiert auf 6 Gestaltungsvarianten, aus denen sich in Kombination mit 7 topographischen Faktoren 42 Grundtypen ergeben. Betrachtet wird dabei immer der gesamte Randbereich des Gleiskörpers, an dem wo nötig eine Lärmschutzwand errichtet wird. Aus der Wand heraus werden dann je nach den lokalen Bedürfnissen Wege, Freiräume, Innenräume oder eine Einbettung in die freie Landschaft entwickelt. Dieser typologische Ansatz ist das robuste, allgemeingültige Grundgerüst für spezifische Lösungen.


Konstruktion und Material

Ausgangspunkt der baulichen Umsetzung sind etablierte Lärmschutzwand-Gabionensysteme, die gestalterisch und technisch weiterentwickelt werden. Dabei steht der Metallkorb für ein Gefäß, das unterschiedliche Materialien und Funktionen aufnehmen kann, sodass sich Natur und Kultur entfalten können. Befüllt werden die Körbe ausschließlich mit lokal gewonnenem Abbruchmaterial - die Stadt wird als urbane Mine genutzt, um die Wand zu bauen. Durch Sortierung und Aufbereitung werden für die schalldämmende und feuchtigkeitsregulierende Innenschicht Sande gewonnen, während für die sichtbaren Außenseiten Abbruchmaterialien nach Körnung und Farbigkeit sortiert werden. Die Dichte der Gitterstäbe wird an die technischen und gestalterischen Anforderungen angepasst. Dieser technische Ansatz schafft die Grundlage für das künstlerische Konzept und die zentrale soziale Komponente des Projektvorschlages, in dem die Wand keine Zäsur bedeutet, sondern den ‘genius loci’ mit lokalem Material- und Farbbezug weiterentwickelt. Außerdem werden aus diesem Konstruktionsprinzip für die angrenzenden Räume Möbel, Geländerfüllungen, Fassadenelemente und Spielgeräte entwickelt. Im Bereich von Brücken wird die Lärmschutzwand zu vollständig transparenten Paneelen aufgelöst. Technisch kann so Platz und Gewicht für die Lärmschutzmaßnahme gespart werden. Von innen offenbart sich ein kurzzeitig freier Blick der den Moment des Überbrückens reflektiert.


Kunst

Die Kunst ist visuell und konzeptionell vollständig in das Gesamtkonzept integriert und entwickelt sich direkt aus diesem heraus. Entlang der gesamten Strecke versteht sie sich als organisch mäandernde „Living Sculpture“. Bezüge zu den historisch-transformierenden Grundideen der „Sozialen Plastik“ von Joseph Beuys sowie zu seinen abstrakt-geometrisch arbeitenden Schülern schwingen mit. Ohne sich dem Reisenden aufzudrängen, ist die Innenseite der Wand ein identitätsprägendes Kunstwerk, das Bahnreisende in unterschiedlicher Geschwindigkeit wahrnehmen können. Die Gitterkörbe geben eine Grundstruktur und Rhythmik vor, die durch die Dichte und Farbigkeit des Drahtgitters sowie die Füllung moduliert wird. Aus dem sehr einfachen und technisch etablierten Grundprinzip ergeben sich so unzählige Struktur- und Farbkombinationen. Diese werden dazu genutzt, ein abstraktes Bild der Stadt bzw. Landschaft dahinter zu zeichnen. Durch nicht gefüllte, aber verglaste Wandereiche blitzen Stadt und Natur hinter der Wand für die Vorbeifahrenden immer wieder auf. Diese Durchblicke ermöglichen es den Zugreisenden, das abstrakte Bild durch die eigene Vorstellungskraft zu vervollständigen. In den Randbereichen wird auf die Füllung an manchen Stellen verzichtet, sodass sich die Wand in einer ephemer wirkenden Struktur auflöst (dazu wird die Gitterkonstruktion teilweise größer gebaut als lärmschutztechnisch nötig). Die Wand wird transparent, porös und leicht.


Wildlife Inclusive Design

Auf der bahnabgewandten Seite dienen die Gabionen als Ausgangspunkt für unterschiedliche Vegetationstypen zur Schaffung von Habitaten. Sie bieten Versteck- und Sonnenplätze für Eidechsen und durch die Einarbeitung vegetationsfähiger Substrate bilden sie die Basis für Fels- und Mauerspaltenpflanzen. Durch bodengebundene Begrünung mit Kletterpflanzen werden großflächig robuste, klimaverbessernde Grünstrukturen geschaffen. An geeigneten Stellen werden gezielt Bruthöhlen für Vögel sowie Fledermausquartiere eingearbeitet. Mit Totholz gefüllte Gabionen bieten Nahrungs- und Lebensraum für Insekten und Mikroorganismen. Eingebunden ist die derart biodivers gestaltete Wand in die ortsspezifisch entwickelten Vegetationstypen der angrenzenden Freiflächen. Je nach Standort werden hier beispielsweise wechselfeuchte Staudenfluren, trockenverträgliche Gebüsch-, Kraut- und Wiesenvegetationen oder „lineare Wälder“ bzw. Gehölzstreifen geschaffen. Dadurch werden entlang der Bahntrasse dem Biotopverbund dienende, grüne Korridore entwickelt.

Projekt
RRX Düsseldof

Was
Wettbewerb

Wo
Düsseldorf

Wann
2023

In Kooperation mit Studio Animal Aided Design, Martin Bruno Schmid, Marie Lienhard, str.ucture und orange architekten






Die Wand als Möglichkeit: Die Lärmschutzwand wird vom trennenden Element zum Ausgangspunkt einer städtebaulichen und naturräumlichen Entwicklung: Die Wand als Prozess und Abenteuer.
Die Wand als Möglichkeit: Die Lärmschutzwand wird vom trennenden Element zum Ausgangspunkt einer städtebaulichen und naturräumlichen Entwicklung: Die Wand als Prozess und Abenteuer.


Typologie Matrix: Entlang der Lärmschutzwand ergeben sich durch sechs unterschiedliche Wandtiefen verschiedene räumliche Aneignungsmöglichkeiten der Wand. In Kombination mit sieben unterschiedlichen Höhenlagen der Gleise entstehen 42 Grundtypen, die einen Baukasten für ortspezifische Lösungen und ein robustes Grundgerüst für die Planung bilden.
Typologie Matrix: Entlang der Lärmschutzwand ergeben sich durch sechs unterschiedliche Wandtiefen verschiedene räumliche Aneignungsmöglichkeiten der Wand. In Kombination mit sieben unterschiedlichen Höhenlagen der Gleise entstehen 42 Grundtypen, die einen Baukasten für ortspezifische Lösungen und ein robustes Grundgerüst für die Planung bilden.





Verortung der unterschiedlichen Wandtypen entlang der Strecke
Verortung der unterschiedlichen Wandtypen entlang der Strecke


27,0+75km: Höhe Bezirkssportanlage Garath
Freiraumtypologie: Linearer Wald
Wandtypologie: Wand + Flach
30,0+67km: Höhe Süllenstraße
Freiraumtypologie: Linearer Wald Böschung
Wandtypologie: Wand + Böschung
31,8+70km: Höhe Hoxbach
Freiraumtypologie: Gewässertypischer Krautsaum
Wandtypologie: Wand + Flach
33,4+00km: Höhe Karlsruher Straße
Freiraumtypologie: Dachbegrünung extensiv
Wandtypologie: Flach + Innenraum
35,8+20km: Höhe Oberbilk
Freiraumtypologie: Dachbegrünung intensiv
Wandtypologie: Steilwand + Innenraum
37,6+50km: Höhe Arminstraße
Freiraumtypologie: Dachbegrünung intensiv
Wandtypologie: Steilwand + Innenraum
47,0+82km: Höhe Wanheimer Straße
Freiraumtypologie: Hangwiesenvegetation
Wandtypologie: Landschaft + Flach
50,5+00km: Höhe Angermunder Baggersee
Freiraumtypologie: Lineare Gebüsche + Hecken
Wandtypologie: Nichts + Flach
50,5+00km: Höhe Angermunder Baggersee
Freiraumtypologie: Nanowald + Wildnis
Wandtypologie: Nichts + Flach
47,4+70km: Höhe Flughafen
Freiraumtypologie: Wechselfeuchte Staudenfluren
Wandtypologie: Nichts + Flach
37,6+50km: Höhe Gustav-Poensgen-Straße
Freiraumtypologie: Gabione + Kletterpflanzen
Wandtypologie: Freiraum + Steilwand
37,0+00km: Höhe Sportplatz Volksgarten
Freiraumtypologie: Dachbegrünung extensiv
Wandtypologie: Freiraum + Steilwand
36,7+50km: Höhe Volksgarten
Freiraumtypologie: Gabione + Kletterpflanzen
Wandtypologie: Weg + Steilwand
36,4+00km: Höhe Emmastraße
Freiraumtypologie: Hangwiese
Wandtypologie: Nichts + Böschung
33,9+00km: Höhe Sturmstraße
Freiraumtypologie: Hangwiese
Wandtypologie: Landschaft + Böschung
33,4+00km: Höhe Karlsruher Straße
Freiraumtypologie: Gabione + Kletterpflanzen
Wandtypologie: Weg + Steilwand
33,1+00km: Höhe Kissinger Straße
Freiraumtypologie: Terrassenvegetation
Wandtypologie: Freiraum + Böschung
31,8+70km: Höhe Hoxbach
Freiraumtypologie: Gewässertypischer Krautsaum
Wandtypologie: Nichts + Flach
30,0+67km: Höhe Süllenstraße
Freiraumtypologie: Lineare Gebüsche
Wandtypologie: Nichts + Flach
27,0+75km: Höhe Bezirkssportanlage Garath
Freiraumtypologie: Gabione mit Nistmöglichkeiten
Wandtypologie: Wand + Flach



Gabione ohne Vegetation: ergänzt um Bruthöhlen für Vögel und Quartiere für Fledermäuse (Grafik AAD) Gabione mit Fels- und Mauerspaltenvegetation: Einbau von Schichten aus vegetationsfähigen Substraten, große Steine als Versteckmöglichkeiten und Sonnenplatz für Eidechsen, trockenresistenten Pflanzen wie z.B. Fetthenne, Mauerpfeffer o.ä. (Grafik AAD) Gabione mit Hangwiesenvegetation: Enges Drahtgeflecht, Füllung mit vegetationsfähigem Substrat (Grafik AAD) Gabione mit bodengebundenen Kletterund Schlingpflanzen: Berankung der Gabionengitter (Grafik AAD) Gabione mit Totholz: Totholz als Lebensraum und Nahrungsquelle (Grafik AAD) Dachbegrünung intensiv: mit trockenverträglichen Gebüschen, Kraut- und Wiesenvegetation, zusätzlich Totholz, Stein und Wasserstellen (Grafik AAD) Dachbegrünung extensiv: mit trockenverträglicher Trockenrasenvegetation, zusätzlich Totholz, Stein, Anhügelung und Wasserstellen (Grafik AAD) Terrassenvegetation: Substrat mit Verbindung zum anstehenden Boden, sonnige, warme und trockene Standorte oder absonnige, kühlere Standorte für Gebüsche, Kraut- und Wiesenvegetation, bei entsprechender Pflege auch Kulturpflanzen z.B. Wein (Grafik AAD) Nanowälder und Wildnisse: größere Grundstücke für kleine Waldbestände, Pflege nur an Randbereichen, Sukzession bis zur Waldentwicklung, Kernbereiche abzäunen, dadurch Entwicklung von Altholzbestand und vertikalem Totholz ohne Sicherheitsproblem möglich (Grafik AAD) Lineare Wälder: Baumbestände mit und ohne Strauchschicht auf schmalen Grundstücken entlang der Bahn, Ausbildung von Gehölzsäumen mit Strauch und Krautschicht zu benachbarten Wegeflächen, Wiesen und anderen offenen Flächen, Anreicherung mit vertikalem und horizontalem Totholz, Nistkästen an Bäumen, flach oder geböscht (Grafik AAD) Lineare Gebüsche und Hecken: alle 10-15 Jahre abschnittsweise auf Stock gesetzt, in Bereichen mit mehr Platz Überhälter (einzelne Bäume) stehen lassen, Anreicherung mit vertikalem und horizontalem Totholz, Nistkästen an Überhältern (Grafik AAD) Gewässertypische Gehölz- und Krautsäume: Anreicherung mit vertikalem und horizontalem Totholz (Grafik AAD) Wechselfeuchte Staudenfluren und Röhrichte: In Retentionsflächen und -mulden, je nach Vegetationstyp jährliche bis mehrjährige Mahd (Grafik AAD)